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Zeit in Bildern

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Sind Bilder heute noch Abbilder der Natur oder nur noch dechiffrierbar aufgrund der Kodices und in Anerkennung der Strukturen, die die neuen medialen Welten geschaffen haben? Sind wir noch von den Abbildern der Welt geprägt oder von dem, was seit einer Generation nunmehr „Virtualität“ genannt wird?

Bilder auf Leinwand lassen die Maler in Stunden, Tagen, ja oft Wochen oder Monaten, langsam, Strich für Strich und Lasur für Lasur, Teil für Teil entstehen, selten vor den Augen der Betrachter, denn dies passiert in der Stille, der Ruhe der stillstehenden Zeit im Atelier – und dann ergeben diese Bilder ein Einziges, ein Ganzes.

Dieses Bildganze kann ich als Betrachter dann mit einem Augen-Blick wahrnehmen, es ist für mich als später Hinzutretender eine kompakte Einheit.

Manche Maler erzählen Geschichten mit vielen Einzelheiten und der Betrachter muss und kann sich die Teile des Bildes zu einer eigenen, einer neuen Dramatik nacheinander zusammen setzen. Diese Methode begründet den Erfolg der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, der Salonmalerei des 19. Jahrhunderts, der Surrealisten oder heute z.B. der Maler der Leipziger Schule.

Daneben gab es aber immer Maler, die das Bild als ein einheitliches Bildfeld ansahen und gestalteten, so ein Vermeer im 17. Jahrhundert oder die Impressionisten des späten 19.Jahrhunderts, die Konstruktivisten oder Maler der konkreten Kunst oder heute die Maler der reduzierten, minimalen, monochromen Bilder.

Hier soll das Bild als Einheit wirken, ja vielleicht sogar nur als ein Ausschnitt aus einem größeren Ganzen, das keine Leserichtung, keine Detaillierung oder Schwerpunkt innerhalb des Bildfeldes erlaubt.

Bettina Rave gehört nicht nur zur zweiten Gruppe, sie speist ihre Anregungen auch nicht nur aus der konstruktiven oder monochromen Malerei. Bei ihr sind die Zeitmedien, das Fernsehen, Video, Film, d.h. die ganze Welt der elektronischen Bildauflösung ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer Bilder.

Doch dies ist nur ein Teil des Werkes, das sich lebendig und kontinuierlich entwickelt hat – Malerei, die die Bedingungen der Malerei im Bildfeld, aber auch im Raum, das heißt auf der realen Wand, thematisiert und variiert.

In der Folge „punctum“ von 2012 sind auf dem vorgegebenen rechteckigen Wandfeld in einem freien doch festen System in der Waagerechten und Senkrechten 60 kleine (je 12,8 cm im Durchmesser) frühere Yoghurt-Becher, die noch die Spuren ihrer Verwendung als Farbbehälter sichtbar zeigen, positioniert.

Es entsteht über die große weiße Fläche hin ein Rhythmus farbiger, räumlich zu sehender Punkte, jeder Betrachter kombiniert seine eigenen Kompositionen und Konstellationen, deren Kraftfelder auch über die begrenzte Fläche der Wand hinaus zu dringen scheinen.

Jedes Bild, und sei es auch so riesig wie diese ganze Wand, ist nur ein Mikrokosmos in dem großen Makrokosmos der zu gestaltenden Welt – eine Erinnerung an die Utopien der Künstler in den 1920er Jahren, die mit ihren Gestaltungsvorschlägen eine neue Kunst für die neue Architektur des neuen Menschen realisieren wollten – unter Stalin und Hitler wurden diese Bestrebungen dann radikal ausgemerzt.

Zeit in Bildern

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Sind Bilder heute noch Abbilder der Natur oder nur noch dechiffrierbar aufgrund der Kodices und in Anerkennung der Strukturen, die die neuen medialen Welten geschaffen haben? Sind wir noch von den Abbildern der Welt geprägt oder von dem, was seit einer Generation nunmehr „Virtualität“ genannt wird?

Bilder auf Leinwand lassen die Maler in Stunden, Tagen, ja oft Wochen oder Monaten, langsam, Strich für Strich und Lasur für Lasur, Teil für Teil entstehen, selten vor den Augen der Betrachter, denn dies passiert in der Stille, der Ruhe der stillstehenden Zeit im Atelier – und dann ergeben diese Bilder ein Einziges, ein Ganzes.

Dieses Bildganze kann ich als Betrachter dann mit einem Augen-Blick wahrnehmen, es ist für mich als später Hinzutretender eine kompakte Einheit.

Manche Maler erzählen Geschichten mit vielen Einzelheiten und der Betrachter muss und kann sich die Teile des Bildes zu einer eigenen, einer neuen Dramatik nacheinander zusammen setzen. Diese Methode begründet den Erfolg der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, der Salonmalerei des 19. Jahrhunderts, der Surrealisten oder heute z.B. der Maler der Leipziger Schule.

Daneben gab es aber immer Maler, die das Bild als ein einheitliches Bildfeld ansahen und gestalteten, so ein Vermeer im 17. Jahrhundert oder die Impressionisten des späten 19.Jahrhunderts, die Konstruktivisten oder Maler der konkreten Kunst oder heute die Maler der reduzierten, minimalen, monochromen Bilder.

Hier soll das Bild als Einheit wirken, ja vielleicht sogar nur als ein Ausschnitt aus einem größeren Ganzen, das keine Leserichtung, keine Detaillierung oder Schwerpunkt innerhalb des Bildfeldes erlaubt.

Bettina Rave gehört nicht nur zur zweiten Gruppe, sie speist ihre Anregungen auch nicht nur aus der konstruktiven oder monochromen Malerei. Bei ihr sind die Zeitmedien, das Fernsehen, Video, Film, d.h. die ganze Welt der elektronischen Bildauflösung ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer Bilder.

Doch dies ist nur ein Teil des Werkes, das sich lebendig und kontinuierlich entwickelt hat – Malerei, die die Bedingungen der Malerei im Bildfeld, aber auch im Raum, das heißt auf der realen Wand, thematisiert und variiert.

In der Folge „punctum“ von 2012 sind auf dem vorgegebenen rechteckigen Wandfeld in einem freien doch festen System in der Waagerechten und Senkrechten 60 kleine (je 12,8 cm im Durchmesser) frühere Yoghurt-Becher, die noch die Spuren ihrer Verwendung als Farbbehälter sichtbar zeigen, positioniert.

Es entsteht über die große weiße Fläche hin ein Rhythmus farbiger, räumlich zu sehender Punkte, jeder Betrachter kombiniert seine eigenen Kompositionen und Konstellationen, deren Kraftfelder auch über die begrenzte Fläche der Wand hinaus zu dringen scheinen.

Jedes Bild, und sei es auch so riesig wie diese ganze Wand, ist nur ein Mikrokosmos in dem großen Makrokosmos der zu gestaltenden Welt – eine Erinnerung an die Utopien der Künstler in den 1920er Jahren, die mit ihren Gestaltungsvorschlägen eine neue Kunst für die neue Architektur des neuen Menschen realisieren wollten – unter Stalin und Hitler wurden diese Bestrebungen dann radikal ausgemerzt.